Dahoam im Arberland
 

Brigitta Schlüter - Solidarität in der Einen Welt

Über den Verein: Seit 1983 fördert der gemeinnützige Verein entwicklungspolitische Bildungsarbeit und Partnerschaften mit benachteiligten Produzent*innen in aller Welt. Konkret informiert „Solidarität in der Einen Welt“ über Probleme in Entwicklungsländern, unterstützt Entwicklungshilfeprojekte und gerechte Handelsstrukturen, fördert die Begegnung mit anderen Kulturen und kooperiert mit Organisationen und Gruppen mit ähnlichen Zielen. Der Verein ist Träger des Fair-Handelszentrums in Langquaid und von unterdessen 13 Weltläden in Nord-, Ost-, sowie Südbayern. In diesem Rahmen leistet man umfassende Informations- und Bildungsarbeit für Weltläden, Aktionsgruppen, Multiplikator*innen, Schüler*innen, Lehrkräfte, etc. „Solidarität in der Einen Welt“ ist Mitglied im „Eine Welt Netzwerk Bayern e.V.“, Teilnehmer am „Runden Tisch Fairer Handel in Bayern“ und Mitglied im „Weltladen-Dachverband“.

Hilfe in der Not, Begleitung sozialer Einrichtungen, Bewahrung des gesellschaftlichen Miteinanders, Kulturförderung – die Liste des freiwilligen Engagements und der Menschen dahinter ist lang.

Die projektbegleitende Kurzumfrage „Ehrenamt im ARBERLAND in Zeiten von Corona“ hat hervorgebracht, wie der anhaltende Lockdown von heimischen Vereinsmitgliedern erlebt wird: Der Druck durch brachliegende Vereinstätigkeiten und fehlende Einnahmen steigt und die digitale Kommunikation ist für manche eher Problem als Lösung. Die wachsende Angst vor der Post-Pandemie und das Ausschauhalten nach einem Silberstreif am Horizont gehen Hand in Hand. Dennoch besteht Hoffnung auf eine Besserung der Situation. Man arbeitet mit ungebrochenem Durchhaltevermögen, Einfallsreichtum und Flexibilität. „Wir möchten die Geschichten einiger unserer Ehrenamtler*innen erzählen und damit auch andere motivieren, dabeizubleiben und ihr unschätzbares Wirken in der Gesellschaft in schweren Zeiten nicht aufzugeben“, erklärt Ehrenamts-Ansprechpartnerin Maria Schneider vom Regionalmanagement der Kreisentwicklungsgesellschaft ARBERLAND REGio GmbH.

„Die Welt braucht einen Tapetenwechsel. Gestalten wir ihn mit!“

Wer den Namen Brigitta Schlüter hört, hat sofort den Viechtacher Weltladen vor Augen. Dass  es sich dabei nicht um ihr Geschäft handelt, sondern die Räumlichkeiten mitsamt aller Waren Eigentum des „Solidarität in der Einen Welt“-Vereins in Langquaid/Landkreis Kehlheim sind, das bedarf immer wieder einer Erklärung. „Völlig verständlich“, meint die pensionierte Lehrerin und Rektorin. „Schließlich sind auch nicht alle Weltläden auf diese Weise organisiert. Als ich vor rund sechs Jahren die Leitung des hiesigen Weltladens übernommen habe, wollte ich versuchen, diesen auf rechtlich und wirtschaftlich sichere Beine zu stellen“, erklärt sie. „Wir erzielen keine Gewinne für uns, also für das Team Viechtach, sind aber abgesichert und engagieren uns dennoch ungebrochen für die gute Sache.“

Liebe Frau Schlüter, wie hat das Weltladenteam die Corona-Zeit bislang erlebt? Konnten Sie weiterhin tätig bleiben?

Als der erste Lockdown ausgerufen wurde, haben wir den alten Weltladen in der Pfarr- und Stadtbücherei sofort geschlossen. Aufgrund der beengten Platzverhältnisse – das wussten wir – würde es uns nicht möglich sein, die notwendigen Abstände einzuhalten und Hygienekonzepten gerecht zu werden. Es mussten also kreative Lösungen her: Mittwochs eröffneten wir deshalb parallel zum Viechtacher Wochenmarkt einen Stand im Freien vor dem Geschäft und – wie mittlerweile üblich – waren wir auch einen Samstag im Monat auf dem Bauernmarkt zu finden. Hier möchte ich den Viechtacher Jugendrat lobend erwähnen. Weil einige ältere Mitarbeiter*innen auch beim Verkauf an der frischen Luft Sorge um ihre Gesundheit hatten, übernahmen die jungen Leute viele der Schichten. So ging das bis Juli. Parallel erfolgten die Umbauten des Weltladens an seinem aktuellen Standort im Pittasch-Haus. Am 1. September durften wir dann Eröffnung feiern – was keine Selbstverständlichkeit ist. Unser Verein und der Weltladen-Dachverband haben genau geprüft, ob wir die notwendigen 50 Prozent Lebensmittel im Sortiment haben, um auch Waren aus dem Nonfood-Bereich verkaufen und letzten Endes überhaupt aufsperren zu dürfen. Die im Vergleich zum alten Laden erweiterten Öffnungszeiten und die größere Verkaufsfläche führten dann prompt zu vielen neuen Mitarbeiter*innen und einer Verdoppelung des Umsatzes. Dies spiegelt allerdings beileibe nicht den Trend der großen städtischen Weltläden wieder, wo man aufgrund des Lockdowns plötzlich keine Laufkundschaft mehr hatte und überlegen musste, ob und wie es noch weitergeht. Das muss es jedoch, schließlich wollen wir die Produzent*innen im globalen Süden in dieser schwierigen Zeit nicht im Stich lassen. Doch auch um die Menschen hier macht man sich Gedanken. Einerseits freute uns der Erfolg, andererseits stimmte er uns nachdenklich – schließlich sind wir ja alle ehrenamtlich tätig. Wenn der Laden heute leer bleibt, trage ich keinen persönlichen Schaden davon. Andere müssen aber um ihre Existenzen bangen und wären auf das gute Weihnachts- oder Ostergeschäft angewiesen gewesen. Bei uns hatte Corona – bedingt durch die Neueröffnung und den Ortswechsel – keine negativen Folgen. Was mir allerdings schon fehlt, sind Dienstbesprechungen in Präsenz oder der geplante monatliche Stammtisch, den wir noch nicht ein einziges Mal abhalten konnten. Aktuell kommunizieren wir via E-Mail, postalisch oder telefonisch. Das ist allerdings natürlich nicht dasselbe.

Wo kommt Ihr persönliches Engagement her?

Ich würde sagen, dass meine Affinität zum Bereich Fairtrade und damit auch mein Engagement im  kirchlichen Bereich wurzelt. Geboren in Baden-Württemberg und aufgewachsen bei Heidelberg, bin ich schon sehr lange in der katholischen Kirche aktiv, allerdings nie im traditionellen, eher hierarchisch geprägten Bereich. Wir haben einige Jahre in Eschborn/Frankfurt am Main gelebt, wo es eine ganz kleine, dafür aber wahnsinnig progressive Gemeinde gab. Sie hat sich beispielsweise für Geflüchtete, aber auch für den Umweltschutz eingesetzt. Dort erst lernte ich, wie man demonstriert. Ich erinnere mich noch gut daran, wie wir gemeinsam gegen den Bau der Startbahn-West auf die Straße gegangen sind. Dass Kirche nicht nur sozial-politisch sein kann, sondern auch muss, erlebe ich auch hier im Bayerischen Wald, was wir als Gemeinde sehr dem Wirken unseres Pfarrers Dr. Werner Konrad verdanken. Er war es auch, der mich zum Viechtacher Weltladen gebracht hat. Und so wird das Engagement immer umfangreicher, beispielsweise auch im Bereich der Fairtrade-Town Viechtach oder in der Steuerungsgruppe des Fairtrade-Landkreises Regen.

Wie sehen Ihre Wünsche und Hoffnungen für die Zukunft des Vereins bzw. für die des Weltladens Viechtach aus?

Wie es der Zufall will, steht der diesjährige „Weltladentag“ unter dem Motto „Die Welt braucht einen Tapetenwechsel. Gestalten wir ihn mit!“ Ich finde diesen Aktionstitel aus verschiedenen Gründen unheimlich gut gewählt und würde ihn generell als Zukunftsmotto sehen wollen – aufgrund von Corona, aufgrund des Klimawandels, aufgrund von Armut, Not und diverser anderer Probleme, die wir rund um den Globus haben. Es bedarf einer dringenden Veränderung, manche sagen einer Transformation, und der Möglichkeit, dass jeder diese nach seiner Motivation und Befähigung mitgestaltet. Vor kurzem hat sich die Tochter einer Mitarbeiterin gemeldet, sie wolle gerne im Weltladen helfen. Viele sehen Weltladenarbeit als Arbeit alter Damen – und es stimmt: Ganz oft haben pensionierte Frauen auch einfach Zeit und einen emotionalen Bezug zum Thema Fairtrade. Ich fragte also die 17-jährige Gymnasiastin, was sie gerne machen möchte. Wenig später hatte sie unsere beiden Schaufenster mit kreativen Mobiles dekoriert und Koch- bzw. Backrezepte vorbereitet, die sich durch Produkte aus dem Laden umsetzen lassen. Der Hashtag des Weltladentags 2021 lautet #GönnDirDenWandel, weil ein bewusster Lebensstil eben nicht immer nur mit Verboten, Verzicht und schlechtem Gewissen einhergehen muss. Manchmal macht man die Welt eben auch schon ein Stückchen besser, wenn man vegane Schoko-Cookies backt.

 

Das Regionalmanagement-Projekt „Förderung des bürgerschaftlichen Engagements“ wird gefördert durch das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie.